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Der IWF im Reformstau

Artikel-Nr.: DE20130402-Art.16-2013

Der IWF im Reformstau

Vor der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank

Auf die enorme Aufstockung seiner Finanzmittel im Zuge der globalen Finanzkrise würden zügige Reformen der Governance-Strukturen und der Politikinhalte des Internationalen Währungsfonds (IWF) folgen. Doch diese Hoffnungen erweisen sich immer mehr als Fata Morgana. Die Stimmrechtsreform stockt, und in Südeuropa fällt der Fonds sogar in seine alte Auflagenpolitik zurück und geriert sich teilweise brachialer als gegenüber den Entwicklungsländern, schreibt Rainer Falk.

Längst ist IWF-Kritik kein Privileg irgendwelcher Globalisierungskritiker mehr. Die Kritik kommt inzwischen von innen und von außen. Vor allem das IWF-eigene Unabhängige Evaluierungsbüro (IEO) hat auf zahlreiche politische Fehlleistungen des Fonds aufmerksam gemacht. Sein jüngster Bericht (s. Hinweis) behandelt die Wechselkurspolitik des IWF und die „exzessive“ Akkumulation ausländischer Währungsreserven in einigen Schwellenländern. Er bietet umfangreiche Belege dafür, dass der IWF die Kritik an der Reservebildung in diesen Ländern als Trojanisches Pferd benutzt, um seine mächtigsten Mitgliedsländer dabei zu unterstützen, Länder wie China zum Übergang zu flexiblen Wechselkursen zu bewegen.

* Missachtung von Lehren aus vergangenen Finanzkrisen

Dabei kommen zahlreiche analytische Unzulänglichkeiten zum Vorschein. Erstens, so argumentieren die IEO-Autoren, gebe es kaum wissenschaftliche Belege dafür, dass ein Land eine bestimmte Ober- oder Untergrenze bei der Anlage von Währungsreserven beachten sollte. Zweitens weist das IEO darauf hin, dass die IWF-Leute die Vorsichtsmotive nicht angemessen in Rechnung gestellt haben, die mehrere Länder nach der Asienkrise dazu bewogen haben, Währungsreserven zum Schutz gegen spekulative Attacken aufzubauen.

Das vielleicht schlagkräftigste Argument des Berichtes lautet, dass die IWF-Ökonomen – indem sie die Währungsreserven in den Mittelpunkt stellten – versäumt haben, auf zentrale Faktoren aufmerksam zu machen, etwa die lasche Finanzmarktregierung, die überschießende globale Liquidität oder die Volitilität internationaler Kapitalströme. Überhaupt bestehe kein Anlass, den Umfang der Währungsreserven als „exzessiv“ zu bezeichnen, wenn man diese (die sich 2010 auf 10 Billionen Dollar weltweit beliefen) mit den Summen vergleicht, die gleichzeitig von globalen Investmentfonds (117 Billionen), kommerziellen Banken (105 Billionen) und Anlagewerten in Anleihen, Aktien und Banken (257 Billionen Dollar) gehalten wurden.

Ein weiterer Aspekt ist von Kritikern schnell registriert worden, wird aber jetzt auch vom IEO ins Feld geführt: die ausgesprochene Ungleichbehandlung der IWF-Mitglieder bei Währungsinterventionen. Während der Fonds aggressive Wechselkursinterventionen der reichen Länder explizit unterstützte (etwa die Schweiz und Japan bei ihren Stabilisierungsmaßnahmen), verhält er sich äußerst zögerlich, wenn sich Schwellenländer wie Brasilien gegen die „Währungskriege“ des Nordens (so der brasilianische Finanzminister Guido Mantega) zur Wehr setzen (wenngleich auf dem Papier inzwischen auch Kapitalverkehrskontrollen für den IWF wieder zum legitimen Instrumentenkasten gehören).

* One-size-fits-all für Südeuropa

Besonders weit klafft die Kluft jedoch zwischen den (selbst-)kritischen Erkenntnissen einiger IWF-Funktionäre und der Beratungs- und Auflagenpraxis des Fonds gegenüber Südeuropa auseinander. Hier scheint der IWF im Verein mit der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) noch über das hinauszugehen, was ihn in der Schuldenkrise Lateinamerikas und Afrikas seit den 1980er Jahren in Verruf brachte.

Auf der einen Seite gelangt ein vom IWF-Chefökonomen Olivier Blanchard koverfasstes Arbeitspapier (dessen Erkenntnisse in abgeschwächter Form auch in den letzten World Economic Outlook eingingen) zu dem Schluss, dass der IWF die negativen Auswirkungen fiskalischer Sparmaßnahmen auf Wachstum und Beschäftigung fast durchgängig unterschätzt hat (was in Ländern wie Griechenland, Spanien oder Irland niemanden verwundern dürfte). Dessen ungeachtet insistiert der Fonds auf der anderen Seite gegenüber diesen Ländern aber dennoch auf der Fortsetzung der prozyklischen und antisozialen „Reformen“.

Letzteres belegt jetzt eine neue Studie aus dem in Washington ansässigen Center for Economic and Policy Research (s. Hinweis). Die Studie untersucht an Hand der sog. Artikel-IV-Konsultationen die jüngsten politischen Empfehlungen des IWF in 27 europäischen Ländern, um herauszufinden, ob diese zur anhaltenden Eurokrise beigetragen haben und darüber hinaus im Widerspruch zu anderen Zielen der EU stehen, wie sie etwa im Programm „Europe 2020“ niedergelegt sind (also: Reduzierung sozialer Ausgrenzung, Förderung der öffentlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung und von Bildung und Beschäftigung).

Das Ergebnis ist eindeutig: Der IWF drängte fast immer auf die Kürzung öffentlicher Ausgaben, auf die Verkleinerung der Regierungsapparate und auf den Abbau sozialen Schutzes für breite Teile der Bevölkerung, oft ohne Rücksicht auf die spezifischen wirtschaftlichen Umstände des Landes. Wiederholt betrafen die Maßnahmen die Kürzung von Pensionen oder der Gesundheitsversorgung bzw. die Anhebung des Rentenalters. „Die arbeitsmarktpolitischen Empfehlungen“, so die Studie, „waren ganz überwiegend darauf ausgerichtet, die Löhne direkt oder indirekt zu drücken. Dazu gehörten die Schwächung der Tarifrechte und der Abbau des Beschäftigungsschutzes.“ Das CEPR sieht ein konsistentes Muster hinter den IWF-Empfehlungen für Europa, das voll und ganz auf neoliberale Standardlösungen nach dem „One-size-fits-all“ hinausläuft.

* Governance-Reform hoffnungslos im Rückstand

Während die Reform der Politikempfehlungen allenfalls auf der Diskursebene stattfindet und in der Praxis vor Ort nicht ankommt, ist Ende Januar 2013 die selbstgesetzte Frist für die schon 2010 im Grundsatz beschlossene Quotenreform verstrichen, ohne das die erforderliche Mehrheit gesichert werden konnte. Verantwortlich dafür sind vor allem die (überrepräsentierten) Europäer, die zwei ihrer Sitze im Direktorium an die Schwellenländer abgeben sollen, und die Vetomacht USA, wo sich die Regierung Obama scheut, die notwendigen Beschlussvorlagen in den Kongress einzubringen, der der Quotenerhöhung zustimmen muss.

Der Rückstand bei den Governance-Reformen entbehrt nicht ganz der Pikanterie. Denn in dem Konzept von 2010 ist lediglich eine Verschiebung der Quoten um 6% an die „unterrepräsentierten“ Länder vorgesehen. Dies bedeutet nicht automatisch eine Stärkung der Position aller Entwicklungsländer. Während die großen Schwellenländer etwas Einfluss hinzugewinnen, werden einigen ärmeren Ländern sogar Stimmrechte weggenommen. Wegen derlei Unzulänglichkeiten hat bereits eine neue Runde der Quotenreform begonnen, über die bis Januar 2014 Einigkeit erzielt werden soll. Die Chancen dafür werden umso schlechter, wenn sich der Abschluss der vorigen Runde um weitere Monate hinauszögert.

Ob die bevorstehende Frühjahrstagung, die vom 19.-21. April in Washington stattfindet, wenigstens die eine oder andere Bresche in den Reformstau beim IWF schlagen kann, wird sich zeigen müssen.

Hinweise:
* Olivier Blanchard/Daniel Leigh: Growth Forecast Errors and Fiscal Multipliers, 43 pp, IMF Working Paper WP 13/1, IMF: Washington DC, January 2013. Bezug: über www.imf.org
* Independent Evaluation Office (IEO): International Reserves. IMF Concerns and Country Perspectives, 45 pp, IMF: Washington DC 2012. Bezug: über www.imf.org
Veröffentlicht: 2.4.2013

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Der IWF im Reformstau. Vor der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 2. April 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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