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Finanzmarktreform: Die große Unvollendete

Artikel-Nr.: DE20151014-Art.27-2015

Finanzmarktreform: Die große Unvollendete

Eine Bilanz der UNCTAD

Vorab im Web - Die Umsetzung der neuen nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) erfordert eine grundlegende Umgestaltung des internationalen Währungs- und Finanzsystems und nicht bloß eine weitere Vervollkommnung der bestehenden finanziellen Regeln und Arrangements. So argumentiert die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in ihrem jüngsten Trade & Development Report (s. Hinweis). Sie weist damit nicht nur auf eine entscheidende Leerstelle der 2030-Entwicklungsstrategie hin, schreibt Rainer Falk in einer Zusammenfassung.

Auch die Debatte um eine Reform der internationalen Finanzarchitektur an sich ist gleichsam auf halber Strecke stecken geblieben. Das globale Finanzsystem in seiner heutigen volatilen Form bietet jedenfalls nicht die stabilen und vorhersagbaren Bedingungen für jenen gigantischen Investitionsschub, der für die Realisierung der SDGs nötig ist. Immerhin wird der jährliche Finanzbedarf in diesem Zusammenhang auf 3,5-5 Billionen Dollar geschätzt. Zwar wäre es falsch zu sagen, heißt es in dem Bericht, „dass die Reformagenda niemals über das Entwurfsstadium hinaus gekommen ist; auf nationaler wie internationaler Ebene wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, manche sogar mit echtem Biss. Doch bislang ist es nicht gelungen, die systemischen Schwächen und die Brüchigkeit einer finanzialisierten Welt zu beheben“. Spätestens Mitte 2014 sei nach einer langen Phase des Krisenmanagements eine Haltung des „Business a usual“ zurückgekehrt, verbunden mit der selbstzufriedenen Rede der politischen Kreise von einer „neuen Normalität“ nach der Krise.

● Halbherzige Reformen

Die nach der Finanzkrise von 2008 eingeleiteten Initiativen betrafen vor allem die Stärkung der Regulierung und der Aufsicht sowie die Erleichterung des Zugangs zu öffentlicher Liquidität im Falle von Zahlungsbilanzproblemen. Doch diese waren in der Sicht der UNCTAD-Ökonomen zu schwach und zu begrenzt. Darüber hinaus berücksichtigten sie die spezifischen Bedürfnisse der Entwicklungsländer nicht genug, hebt der Bericht hervor, der den Untertitel „Making the international finance architecture work for development“ trägt.

Höhere Kapitalrücklagen und neue Vorschriften für systemisch wichtige Banken heißt der Report zwar willkommen, doch nach wie vor seien exzessive Hebelungen von Kapital möglich, während die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen zu kurz komme. Überdies habe die Schwerpunktsetzung auf den traditionellen Bankensektor zur Vernachlässigung des Schattenbankensystems geführt, dessen Bedeutung sogar noch gewachsen ist – auch in mehreren Entwicklungsländern. Innovative Formen von Krediten und eine neue Klasse von Anlagemanagern (etwa Hedgefonds) und Brokern (oft in Finanzkonglomeraten) hat die Fremdfinanzierung auf hohem Niveau gehalten und damit die finanzielle Stabilität beeinträchtigt. Trotz ihres schlechten Ansehens beherrschen die Einschätzungen der Ratingagenturen immer noch die Kapitalallokation und die Zinssätze sowie die Risikogewichtung für den Kapitalbedarf.

● Die Agenda radikalisieren

Angesichts derartiger Versäumnisse plädiert der Bericht für eine konsequentere Reformagenda, von der strikten Trennung von Geschäfts- und Investitionsbanken auch auf internationaler Ebene bis hin zur Überwachung und Regulierung der Schattenbanken. Interessenkonflikte im Zusammenhang des Kreditratings sollten durch den Übergang zu einem Modell angegangen werden, in dem nicht mehr der Gläubiger, sondern der Kreditnehmer zahlt und das durch den öffentlichen Sektor gestützt wird, um Trittbrettfahrer-Praktiken zu vermeiden. Auch könnten die Banken selbst die Kreditwürdigkeit von Schuldnern einschätzen oder Gebühren an eine öffentliche Instanz zahlen, die die Bewertung von Sicherheiten vornimmt.

Problematisch bewertet der Bericht auch die wachsende Dominanz privater Liquidität seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems Anfang der 1970er Jahre, die inzwischen die öffentlichen Quellen weit übertrifft. Denn während private Liquidität im Boom im Übermaß vorhanden ist, trocknet sie in Krisenzeiten schnell aus. In Reaktion auf dieses prozyklische Muster haben viele Entwicklungsländer – als eine Form der Selbstversicherung – große Mengen an öffentlicher Liquidität in ausländischen Währungsreserven aufgebaut. Doch UNCTAD ist besorgt, dass die Länder immer noch den Unbilden der globalen Finanzmärkte ausgesetzt bleiben, wenn die Akkumulation von Reserven aus ausländischer Kreditaufnahme resultiert. Wenn viele Länder obendrein Reservebildung durch Handelsüberschüsse betreiben, besteht das ernste Risiko von Währungskriegen und einem weiteren Rückgang der ohnehin schwachen globalen Nachfrage bzw. eines Ausbleibens der wirtschaftlichen Erholung.

● Neue Risiken im Süden

Illustriert werden diese Risiken durch die Kapitalbewegungen seit Beginn dieses Jahrhunderts. Seit dem Jahr 2000 haben sich die privaten Kapitalzuflüsse in die Entwicklungs- und Transitionsländer substantiell beschleunigt. Als Anteil am Bruttonationaleinkommen wuchsen die externen Zuflüsse in diese Länder von 2,8% in 2002 auf 5% in 2013 bei zwei historischen Rekordwerten von 6,6% in 2007 und 6,2% in 2010. Ängste vor einem plötzlichen oder substanziellen Kapitalabfluss kamen mit dem beginnenden wirtschaftlichen Rückgang auf und verstärkten sich mit der zunehmenden Volatilität in den letzten Monaten (s. Schaubild). Die engen Verbindungen zwischen Kapitalfüssen und ökonomischen Schlüsselpreisen verschärft zugleich die Gefahr einer deflationären Abwärtsspirale.

Aggregierte Netto-Kapitalflüsse und Wechselkurse


Hinweis: Einbezogene Länder sind Brasilien, China, Indien, Indonesien, Malaysia, Mexiko, Russland, Südafrika, Thailand, Türkei, Ukraine.

Vor allem nach der Krise von 2008 folgten diese Kapitalflüsse sowohl politischen Entscheidungen in Industrieländern als auch den Fundamentals in den Zielländern. Die Aussichten auf höhere Investitionserträge in Entwicklungsländern stellten eine attraktive Alternative zu den in den Industrieländern gebotenen niedrigen Zinssätzen dar. Doch zugleich verband sich mit diesen Kapitalzuflüssen ein Aufwertungsdruck. Die offeneren Kapitalmärkte bedeuteten, dass die Regierungen ihre Währungs- und Fiskalpolitik mit Blick auf die Präferenzen der internationalen Kapitalmärkte machen mussten. Ein „Carry Trade“ in Höhe von schätzungsweise 2 Billionen Dollar in den Schwellenländern war wie Zeitbombe, die auf ihre Explosion wartete. Eine geringfügige Wechselkurskorrektur der chinesischen Behörden scheint der Tropfen gewesen zu sein, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Auch das Wachstum des Handels stockt. Die Rohstoffpreise fielen seit den Höchstmarken 2011/12 signifikant, ein Trend, der sich 2014/15 fortsetzte. Der entsprechende Verfall der Terms of Trade für Rohstoffexporteure, gekoppelt mit den zunehmenden Kapitalabflüssen, hat die wirtschaftlichen Aussichten vieler Entwicklungsländer ernsthaft geschwächt, so der Bericht.

Die UNCTAD-Autoren plädieren angesichts dieses Abschwungs für einen besseren Mix der Währungs- und Fiskalpolitik, um den Entwicklungsländern zu mehr Vorteile aus der Integration in die globalen Finanzmärkte zu verschaffen. Dazu gehören Maßnahmen auf nationaler Ebene, wie Kapitalverkehrskontrollen. “Das Management der anhaltenden Volatilität kurzfristiger Finanzflüsse erfordert aber auch international koordinierte politische Antworten“, sagt UNCTAD-Generalsekretär Mukhisa Kituyi.

● Reform des Weltwährungssystems

Der TDR 2015 plädiert daher für neue multilaterale Arrangements als den besten Weg zu stabileren Weltfinanzen, etwa für ein multilaterales Wechselkursmanagement oder eine größere Rolle für die Sonderziehungsrechte beim IWF. Allerdings erfordert dies institutionelle Veränderungen, die derzeit außerhalb der Reichweite liegen, weshalb sich regionale Währungsswaps als Ausweg anbieten. Allerdings sind diese immer noch von sehr begrenzter Natur. Die Ausweitung von IWF-Sonderfazilitäten mache Sinn; allerdings werden diese weitgehend nicht genutzt. Somit ist aus der Sicht der Entwicklungsländer immer noch die Reform der Governance, der politischen Ausrichtung und der Surveillance des Internationalen Währungsfonds von oberster Priorität.

Neben interregionalen Swap-Arrangements könnte für die Entwicklungsländer, so ein anderer Vorschlag des Reports, auch die Schaffung eines gemeinsamen Fonds interessant sein, dessen Kapital periodisch aufgestockt und von einer regionalen Clearing Union oder einem Reservepool genutzt wird, um die eigenen Ausleihkapazitäten zu erhöhen.

Generell vertreten die UNCTAD-Ökonomen die Position, dass starke regionale Initiativen mit globalen Ansätzen kombiniert werden sollten, um schrittweise zu einer umfassenden Reform des internationalen Währungssystems und damit zu einer Alternative zur nationalen oder regionalen Reservebildung zu kommen.

Hinweis:
* UNCTAD: Trade & Development Report 2015: Making the international financial architecture work for development, 222 pp, United Nations: New York and Geneva 2015. Bezug: über www.unctad.org

Posted: 14.10.2015

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Finanzmarktreform: Die große Unvollendete. Eine Bilanz der UNCTAD, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 14. Oktober 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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