Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Erster Entwurf für globale Entwicklungsziele

Artikel-Nr.: DE20140723-Art.26-2014

Erster Entwurf für globale Entwicklungsziele

Brüchige Kompromisslinien nach 50 Sitzungstagen

Vorab im Web – Im diplomatischen Ringen um eine neue globale Entwicklungsagenda für die Zeit nach dem Jahr 2015 haben die Regierungen ein erstes Etappenziel erreicht. Die Offene Arbeitsgruppe der UN-Generalversammlung, die den Auftrag hatte, universelle Ziele für nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development Goals“ – SDGs) zu formulieren, hat am 19. Juli 2014 in New York ihren Bericht verabschiedet. Herausgekommen ist ein brüchiger Kompromiss aus 17 Zielen und 169 Unterzielen. Eine erste Bewertung von Jens Martens.

Die SDGs decken alle Bereiche nachhaltiger Entwicklung ab und gehen damit weit über die bisherigen Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) hinaus. Zum Teil sind die vorgeschlagenen Ziele überraschend ambitioniert, zum Teil erschreckend banal, überprüfbare Handlungsverpflichtungen für die Regierungen lassen sich nur aus wenigen ableiten.

● Armut beenden - überall

Die Regierungen hatten bei der Rio+20-Konferenz 2012 beschlossen, für die Zeit nach dem Jahr 2015 ein Set universeller Nachhaltigkeitsziele zu vereinbaren. Sie sollten nicht nur für die Länder des Südens gelten, sondern global ausgerichtet und auf alle Länder anwendbar sein. Eine Offene Arbeitsgruppe unter dem Dach der UN-Generalversammlung („Open Working Group on Sustainable Development Goals“) wurde damit beauftragt, einen entsprechenden Vorschlag auszuhandeln. Die Gruppe nahm ihre Arbeit im März 2013 auf. Deutschland teilte sich in ihr einen der 30 Sitze mit der Schweiz und Frankreich.

Nach 13 Treffen mit weit über 50 Sitzungstagen, diversen Konsultationen und zähen Aushandlungsprozessen liegt nun das Ergebnis vor: Ein 24-seitiger Bericht, der den politischen Rahmen für die künftigen Nachhaltigkeitsziele absteckt und konkrete Ziele (goals) und Unterziele (targets) benennt.

Ziel Nummer 1 ist, wie schon bei den MDGs, die Armutsbekämpfung. Bis zum Jahr 2030 soll die extreme Einkommensarmut (gegenwärtig definiert als Pro-Kopfeinkommen von weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag) überall auf der Welt beseitigt sein. Zusätzlich soll aber auch der Anteil der Menschen mindestens halbiert werden, die nach den jeweiligen nationalen Definitionen in Armut („in all ihren Dimensionen“) leben. Dieses Ziel würde auch die deutsche Politik vor massive Herausforderungen stellen, denn 2013 galten rund 15% der Deutschen als arm oder armutsgefährdet.

Gegen Ungleichheit innerhalb und zwischen Ländern

Neben der Armutsbekämpfung wurde in das Set von SDGs auch die Reduzierung von Ungleichheit („innerhalb und zwischen den Ländern“) als eigenständiges Ziel aufgenommen. Dies war u.a. von der EU und den USA ursprünglich abgelehnt worden. Als eine Zielvorgabe vereinbarten die Regierungen nun, dass bis 2030 das Einkommen der ärmsten 40% der Bevölkerung stärker wachsen soll als der nationale Durchschnitt. Dazu sollen gezielt auch fiskal-, lohn- und sozialpolitische Maßnahmen eingesetzt werden.


Der Konsens über dieses Ziel ist trotz seiner Vagheit bemerkenswert, signalisiert er doch eine Abkehr von der Marktgläubigkeit früherer Jahre. Dies spiegelt sich auch in eigenständigen Zielen zu Beschäftigung und nachhaltiger Industrialisierung wider. Bis 2030 sollen beispielsweise Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für Alle, sowie die weltweite Durchsetzung des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ erreicht werden. Auch diese Ziele sind zweifellos nicht nur für die armen Länder des Südens relevant.

● Wachstum in „Harmonie mit der Natur“

Erreicht werden sollen die wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele vor allem durch stetiges Wirtschaftswachstum. Für die ärmsten Länder (LDCs) gibt die SDG-Liste als Ziel eine Wachstumsrate von mindestens 7% pro Jahr vor. Ein solches quantitatives Ziel erinnert an die naive Wachstumsgläubigkeit der ersten Entwicklungsdekaden der UN und steht nicht gerade im Einklang mit den ökologischen Zielen des Reports.

Neben der allgemeinen Beschwörung von „Mutter Erde“ und der Notwendigkeit, die „Harmonie mit der Natur“ zu fördern, enthält die vorgeschlagene SDG-Liste eine Reihe ökologischer Ziele. Sie umfassen vor allem die Bereiche Wasser, Energie, Meere, Ökosysteme, nachhaltige Konsum– und Produktionsweisen sowie den Klimaschutz. Den MDGs hat man zu Recht ökologische Blindheit vorgeworfen. Für die vorgeschlagenen SDGs trifft das nicht zu, auch wenn sie zum Teil lediglich Beschlossenes wiederholen und hinter den Forderungen von Umweltorganisationen zurückbleiben.

Dies gilt insbesondere für das Klimaschutzziel, das bis zuletzt umstritten blieb. Vor allem die Länder der G77 wollten verhindern, dass außerhalb der Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention Fakten geschaffen werden, die deren Beschlüsse vorwegnehmen. Gleichzeitig waren sich die Regierungen aber einig, dass der Öffentlichkeit ein Liste globaler Nachhaltigkeitsziele ohne ein eigenes Klimaziel kaum zu vermitteln gewesen wäre. Der Formelkompromiss bestand in einem symbolischen Ziel („Take urgent action to combat climate change and its impacts“), das eher Platzhaltercharakter hat und dessen Unterziele so vage formuliert wurden (z.B. „integrate climate change measures into national policies, strategies and planning“), dass sich aus ihnen keine zusätzlichen Handlungsverpflichtungen für die Regierungen ableiten lassen.

● Konflikt um die „Mittel zur Umsetzung“

Besonders umstritten waren neben dem Klimaziel u.a. ein Unterziel zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie zu den reproduktiven Rechten von Frauen (das einmal mehr gegen den heftigen Widerstand des Vatikans und islamischer Länder durchgesetzt wurde) sowie ein eigenständiges Ziel zur Förderung von friedlichen Gesellschaften und Rechtstaatlichkeit.

Am konfliktträchtigsten waren aber die Ziele, die die Mittel zur Umsetzung der SDGs betrafen. Die G77 wollte den Fehler der MDGs vermeiden, in denen die Verantwortung des Nordens lediglich im Ziel 8 vage verankert worden war, und statt dessen unter jedes Ziel auch Zielvorgaben zur Umsetzung aufnehmen. Die Regierungen des Nordens lehnten dies zunächst rundweg ab, ließen sich am Ende aber darauf ein. Sie akzeptierten auch, dass das Rio-Prinzip der gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwortung der Länder explizit bekräftigt wird.

Somit umfasst der vorgeschlagene SDG-Katalog zum einen das eigenständige Ziel 17 („Strengthen the means of implementation and revitalize the global partnership for sustainable development“) mit Unterzielen zu den Bereichen Finanzen, Technologie, Capacity Building, Handel, Kohärenz, Multistakeholder-Partnerschaften, sowie Daten, Monitoring und Rechenschaftspflicht; zum anderen enthält jedes der übrigen 16 Ziele Unterziele, die die Maßnahmen beschreiben sollen, die zur Umsetzung der jeweiligen Ziele nötig sind.

Ihren diplomatischen Sieg hat sich die G77 aber teuer erkauft. Denn die Ziele, die ja vor allem die Verantwortung der reichen Länder für die Umsetzung der SDGs definieren sollen, wurden im Verhandlungspoker zum Teil bis zur Banalität verwässert (Ziel 17.14 lautet z.B. schlicht: „Enhance policy coherence for sustainable development“). Insgesamt sind sie so vage formuliert, dass sich aus ihnen keine spezifischen Handlungsverpflichtungen ableiten lassen. Als Grundvoraussetzung für ein effektives Set von SDGs wurde immer wieder gefordert, die Ziele müssten SMART sein, d.h. Specific, Measurable, Assignable, Realistic und Time-bound. Viele der Ziele, die die Mittel zur Umsetzung betreffen, erfüllen kaum eines dieser Kriterien.

● Letztes Wort noch nicht gesprochen

Mit der Verabschiedung des Berichts der Offenen Arbeitsgruppe sind die SDGs noch lange nicht beschlossen. Nächste Station im Post-2015-Prozess ist die Veröffentlichung des Berichts des Zwischenstaatlichen Expertengremiums zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung („Intergovernmental Committee of Experts on Sustainable Development Financing“ – ICESDF) im September 2014. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon soll beide Berichte sowie weitere Inputs in einem „Synthesebericht“ zusammenfasen, der für November 2014 angekündigt ist. Er bildet die Grundlage für die eigentlichen Post-2015-Verhandlungen, die die Regierungen Ende 2014/Anfang 2015 beginnen und die mit einem Gipfeltreffen im September 2015 abgeschlossen werden sollen. Ob bei diesen Verhandlungen das mühsam geschnürte SDG-Paket noch einmal geöffnet wird, ist ungewiss. Auf jeden Fall wird es dort darum gehen, die politischen Verantwortlichkeiten und konkreten Maßnahmen zur Verwirklichung der anvisierten Ziele klarer zu benennen. Die Relevanz der Post-2015-Agenda und ihres Zielkatalogs wird davon abhängen, ob dies gelingt.

Hinweis:
* Der Bericht der Open Working Group on Sustainable Development Goals ist abrufbar unter: http://sustainabledevelopment.un.org/focussdgs.html

Posted: 23.7.2014

Empfohlene Zitierweise:
Jens Martens, Erster Entwurf für globale Entwicklungsziele. Brüchige Kompromisslinien nach 50 Sitzungstagen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 23. Juli 2014 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

© Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen oder Bildmaterial bedarf der vorherigen Zustimmung der W&E-Redaktion.