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Durch das Dickicht der Post-2015-Debatten

Artikel-Nr.: DE20131206-Art.44-2013

Durch das Dickicht der Post-2015-Debatten

Vorab im Web ? Die Debatte um Ziele und Strategien nachhaltiger Entwicklung nach dem Jahr 2015 nimmt an Fahrt auf. Unter dem Schlagwort ?Post-2015-Agenda? geht es dabei um weit mehr als nur die Zukunft der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs). Vor dem Hintergrund veränderter geopolitischer und weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen sowie ökologischer Krisen stehen die grundsätzlichen Leitbilder und Prioritäten künftiger internationaler (Entwicklungs-)Zusammenarbeit auf der Tagesordnung, schreibt Jens Martens. Vorab im Web ? Die Ergebnisse der regelmäßigen Weltklimakonferenzen machen selten Mut. Die gerade in Warschau zu Ende gegangene Runde (COP 19: Konferenz der Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention) allerdings war dazu noch von ganz besonderem Zynismus geprägt, und dies nicht nur, weil die Konferenz ausgerechnet in jenem Land stattfand, das seit Jahren den Klimaschutz in Europa noch mehr als die bisherige Bundesregierung blockiert. Eine auswertende Analyse von Jan Kowalzig.

Damit verbunden sind Diskussionen über die Zukunft der Entwicklungsfinanzierung und neue Konzepte der Lastenteilung zwischen den Ländern. Auf Ebene der Vereinten Nationen finden diese Diskussionen in einem unübersichtlichen Gewirr von Konsultations- und Verhandlungsprozessen statt ? mit ungewissem Ausgang.

? Vom unübersichtlichen Wirrwarr ...

Den Ausgangspunkt der Post-2015-Debatten bildete die Frage, wie es mit den MDGs nach dem Zieljahr 2015 weitergehen soll. Einen parallelen Diskussionsprozess initiierten die Regierungen mit ihrem Beschluss der Rio+20-Konferenz, bis zum Jahr 2015 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs: Sustainable Development Goals) zu definieren, die für alle Länder der Erde Gültigkeit besitzen sollten. Die SDGs sollen damit in ihrer geographischen und thematischen Reichweite über die Entwicklungsziele im herkömmlichen Sinne weit hinaus gehen. Überschattet werden diese Diskussionen von den gleichzeitig stattfindenden Klimaverhandlungen, die im Jahr 2015 zu einem neuen globalen Abkommen führen sollen.

Hinzu kommen diverse sektorale Verhandlungsprozesse, die unter Federführung der jeweiligen UN-Fachorganisationen durchgeführt werden und ebenfalls bis 2015 zu internationalen Vereinbarungen führen sollen. Dazu gehören die Vorbereitungen der 3. Weltkonferenz ?Bildung für Alle? im Mai 2015 in Südkorea und der ebenfalls 3. Weltkonferenz über die Reduzierung von Katastrophenrisiken, die im März 2015 im japanischen Sendai City stattfindet.
Quer durch alle diese Prozesse ziehen sich Fragen der künftigen Entwicklungsfinanzierung und Lastenteilung.

Das Geflecht der unterschiedlichen Diskussionsstränge ist äußerst komplex. Versuche der grafischen Darstellung erinnern an das Liniennetz der New Yorker U-Bahn. Dabei lassen sich derzeit folgende Hauptstränge ausmachen:

* Post-MDG-Prozess: In den Diskussionen über die Zukunft der MDGs im engeren Sinne hat das High-Level Panel zur Post-2015-Entwicklungsagenda mit seinem Bericht im Juni 2013 (Hochrangiges Panel bringt hochgradige Verwässerung) den bislang sichtbarsten Beitrag geliefert. Daneben führten die Vereinten Nationen bisher eine Vielzahl thematischer und regionaler Konsultationen durch, die sich 2014 fortsetzen. Unter anderem hat der Präsident der UN-Generalversammlung angekündigt, sechs Debatten zu veranstalten, die sich unter anderem mit der Rolle von Frauen, Jugend und Zivilgesellschaft, Süd-Süd-Kooperation, öffentlich-privaten Partnerschaften und Menschenrechten in der Post-2015-Agenda befassen. Offizielle Verhandlungen auf Regierungsebene fanden bislang nicht statt. Sie sollen erst im Herbst 2014 beginnen (s.u.).

* SDG-Prozess: Für die Diskussion über SDGs hat die UN-Generalversammlung eine Offenen Arbeitsgruppe eingesetzt (Open Working Group on Sustainable Development Goals). Deutschland teilt sich in ihr einen der 30 Sitze mit der Schweiz und Frankreich. Das Themenspektrum der Gruppe reicht weit über die klassischen MDGs hinaus. Themen sind auch ökologische Fragen wie der Klimawandel, Wirtschaftspolitik, Handel und Finanzsysteme, Menschenrechte, Friedenssicherung und Global Governance. Zu all diesen Themen soll die Arbeitsgruppe im Sommer 2014 einen Report mit Vorschlägen für konkrete SDGs vorlegen.

* Entwicklungsfinanzierung: Die künftigen SDGs sollen flankiert werden durch eine neue Strategie zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung. Dazu haben die UN einen speziellen Expertenausschuss eingerichtet, das Intergovernmental Committee of Experts on Sustainable Development Financing. Deutschland ist darin durch Norbert Kloppenburg, Vorstandsmitglied der KfW, vertreten. Die Arbeitsgruppe befasst sich mit drei Themenbündeln: 1. Globaler Finanzierungsbedarf und Finanzierungstrends; 2. Mobilisierung und wirksame Nutzung öffentlicher und privater Mittel; und 3. Institutionelle Fragen, Politikkohärenz und Governance. Damit behandelt der Ausschuss sowohl Fragen der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung (ODA) im engeren Sinne als auch systemische Fragen, die die internationalen Finanzmärkte betreffen. Der Expertenausschuss soll bis September 2014 seinen Bericht vorlegen. Seine Vorschläge können die politische Relevanz der Post-2015-Agenda erheblich beeinflussen. Denn für die Länder der G77 ist eine künftige Entwicklungsagenda nur dann akzeptabel, wenn diese auch klare Vereinbarungen über die Mittel zu ihrer Umsetzung enthält.

* Klimaverhandlungen: Die Post-2015-Debatten und die internationalen Klimaverhandlungen finden nicht isoliert voneinander statt. Ohne die Berücksichtigung klimarelevanter Ziele und Finanzierungsfragen würde die Post-2015-Agenda dem Anspruch einer umfassenden Nachhaltigkeitsagenda nicht gerecht. Das heißt allerdings nicht, dass die Verhandlungen über neue Klimaschutzziele und die Verteilung von Reduktions- und Finanzierungspflichten nun doppelt geführt werden. Sie finden primär bei den Vertragsstaatenkonferenzen der Klimarahmenkonvention statt. Die heiße Phase der Verhandlungen wird 2014 beginnen. Auf der 21. Vertragsstaatenkonferenz in Paris (30.11.-11.12.2015) soll das neue Weltklimaabkommen dann verabschiedet werden (???042ae6a2850a2430e???).

? ? zu integrierten Post-2015-Verhandlungen

Eine zentrale Herausforderung wird für die Regierungen darin bestehen, die Post-MDG- und SDG-Diskussionen in einem einzigen Verhandlungsprozess zusammenzuführen und die Ergebnisse der diversen Parallelverhandlungen, insbesondere im Klimabereich, zu integrieren, um so zu einer umfassenden und konsistenten Post-205-Agenda zu kommen.

Im September 2013 hatten die Regierungen bei der Sonderveranstaltung der UN-Generalversammlung zu MDGs und Post-2015 dafür die Voraussetzung geschaffen (???042ae6a2450f03510???). Sie betonten dort die Notwendigkeit eines kohärenten Ansatzes von Armutsbekämpfung und nachhaltiger Entwicklung und eines einheitlichen Sets globaler Ziele.

Damit unterstrichen sie einmal mehr, dass die Post-2015-Agenda und ihre Ziele für alle Länder der Welt (und damit auch für Deutschland) gelten sollen. Sie vereinbarten darüber hinaus, dass die Verhandlungen über die Post-2015-Agenda im September 2014 beginnen und zwölf Monate später auf einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs abgeschlossen werden sollen.

? Mögliche Bausteine der Post-2015-Agenda

Basierend auf dem Bericht des UN-Generalsekretärs zu MDGs und Post-2015 vom Juli 2013 sowie den Stellungnahmen verschiedener Regierungen lassen sich vier mögliche Bausteine einer künftigen Post-2015-Agenda identifizieren:

* eine ?Post-2015-Erklärung? der Staats und Regierungschefs,
* ein Katalog universeller Nachhaltigkeitsziele,
* ein Aktionsprogramm, das auch Vereinbarungen über die means of implementation enthält,
* und ein globaler Überprüfungsmechanismus.

Es geht also bei der Post-2015-Agenda um weit mehr als nur um einen Neuaufguss der alten MDGs. Manche (schlecht informierte) Kritiker, die den ?Post-2015-Zirkus? auf das bloße ?Geschachere um Ziele? reduzieren und dazu aufrufen, sich nicht daran zu beteiligen, verkennen die Reichweite und das politische Potential der gegenwärtigen Diskussionen.

Veröffentlicht: 5.12.2013

Empfohlene Zitierweise:
Jens Martnes, Durch das Dickicht der Post-2015-Debatten. Ein Wegweiser, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. Dezemberr 2013 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)



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