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Ökonomische Konsequenzen der arabischen Revolte

Artikel-Nr.: DE20110318-Art.16-2011

Ökonomische Konsequenzen der arabischen Revolte

Vom Ölpreisboom zur Stagflation?

Nur im Web - Der politische Aufruhr im Nahen Osten hat beträchtliche wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen, insbesondere da er das Risiko der Stagflation erhöht, einer tödlichen Kombination aus schwächelndem Wachstum und steil ansteigender Inflation. Sollte es tatsächlich zur Stagflation kommen, besteht das ernstzunehmende Risiko einer doppelten Rezession, und das, nachdem die Weltwirtschaft gerade erst ihre schlimmste Krise seit Jahrzehnten hinter sich gebracht hat, warnt Nouriel Roubini.

Schwere Unruhen im Nahen Osten waren historisch eine Quelle für Ölpreisspitzen, die wiederum drei der letzten fünf globalen Rezessionen ausgelöst haben. Der Jom-Kippur-Krieg 1973 verursachte eine steile Erhöhung der Ölpreise, die zur globalen Stagflation von 1974/1975 führte. Die Iranische Revolution 1979 führte zu einem ähnlichen stagflationären Anstieg der Ölpreise, der in der Rezession von 1980/1981 gipfelte. Auch Iraks Invasion in Kuwait im August 1990 führte zu einer Erhöhung der Ölpreise, und zwar zu einer Zeit, in der die US-Bankenkrise Amerika bereits in die Rezession kippen ließ.

* Steigende Angstprämie

Die Ölpreise spielten auch bei der jüngsten, durch die Finanzmärkte verursachten globalen Rezession eine Rolle. Bis zum Sommer 2008, kurz vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, hatten sich die Ölpreise im Laufe der vorhergehenden 12 Monate verdoppelt und einen Spitzenpreis von 148 US-Dollar pro Barrel erreicht – womit sie einer bereits schwachen und strauchelnden globalen Wirtschaft, die gegen Finanzschocks ankämpfte, den letzten Stoß versetzten.

Wir wissen noch nicht, ob sich die politische Ansteckung im Nahen Osten auf andere Länder ausbreiten wird. Der Aufruhr könnte noch eingedämmt werden und nachlassen und damit die Ölpreise auf ein niedrigeres Niveau zurückfallen lassen. Doch besteht die ernstzunehmende Möglichkeit, dass sich die Aufstände ausweiten und Bahrain, Algerien, Oman, Jordanien, Jemen und letztendlich sogar Saudi-Arabien destabilisieren.

Noch vor den jüngsten politischen Schocks im Nahen Osten waren die Ölpreise auf über 80 bis 90 US-Dollar pro Barrel gestiegen, nicht nur angetrieben von den energiedurstigen aufstrebenden Märkten, sondern auch von nichtfundamentalen Faktoren: einem Liquiditätsberg, der aufgrund der nahezu bei null liegenden Zinssätze und der quantitativen Lockerung in Anlagen und Rohstoffe in den Schwellenländern investiert werden wollte; Unruhe und Herdenverhalten; begrenzte und unelastische Ölvorräten. Wenn sich die Bedrohung durch Lieferunterbrechungen über Libyen hinweg ausbreitet, könnte selbst das bloße Risiko einer geringeren Förderung die „Angstprämie“ stark ansteigen lassen, da Anleger und Endverbraucher Öl vorsichtshalber auf Vorrat kaufen.

* Globale Risiken

Der jüngste Anstieg der Ölpreise – und die damit verbundene Erhöhung anderer Warenpreise, insbesondere von Lebensmitteln – bringen mehrere unglückliche Konsequenzen mit sich (selbst wenn man das Risiko schwerer ziviler Unruhen außer Acht lässt).

Erstens wird der Inflationsdruck in den bereits überhitzten Schwellenmärkten ansteigen, in denen Öl- und Lebensmittelpreise bis zwei Drittel des Warenkorbs ausmachen. Angesichts der schwachen Nachfrage in den langsam wachsenden Industrieländern könnten sich steigende Rohstoffpreise in der ersten Runde nur wenig auf die dortige Gesamtinflation auswirken und auch in der zweiten Runde einen geringen Einfluss auf die Kerninflation haben. Doch werden die Industrieländer nicht ungeschoren davonkommen.

Wie die Ölpreissteigerungen die Entwicklungsländer treffen

RF - Keine Ländergruppe ist von steigenden Ölpreisen härter betroffen als die Entwicklungsländer, da ihr Einkommen im allgemeinen niedriger und der Anteil des Erdöls an der Gesamtkonsumption weit höher als in den Industrieländern ist. Zum Beispiel machte der Ölverbrauch am Bruttoinlandsprodukt 2008 in Ägypten 9,5% aus, in Thailand 9,2% und in Indien 6,4% - verglichen mit 3,3% in den USA und 2,2% in Japan.

Im Ergebnis haben höhere Ölpreise einen viel größeren Effekt auf Wachstum und Inflation. Die Volkswirtschaften vieler Schwellenländer sind so schnell gewachsen, dass sie bereits kurz vor einer Überhitzung sind und die Zentralbanken Zinssteigerungen in Erwägung ziehen, um die Inflation zu dämpfen. Auf der anderen Seite sind die öffentlichen Finanzen in einem guten Zustand, so dass sich einige Länder dazu entschließen werden, das Los ihrer Bürger durch Treibstoffsubventionen zu erleichtern,

Die Weltwirtschaft hat sich eine Reihe von Jahren auf schnell wachsende Schwellenländer gestützt. Wenn die Ölpreise weiter steigen oder hoch bleiben - und im Ergebnis Länder wie Indien an Wachstumstempo einbüßen, wird dies auch die Exporte der Industrieländer treffen.

Das zweite Risiko durch höhere Ölpreise – ein Schock des Realaustauschverhältnisses und der verfügbaren Einnahmen für alle Energie- und Rohstoffimporteure – wird die Industrieländer besonders hart treffen, zumal sie die Rezession gerade erst überwunden haben und immer noch eine schwache Erholung verzeichnen.

Das dritte Risiko besteht darin, dass die steigenden Ölpreise das Vertrauen der Anleger senken und die Risikoaversion erhöhen, was zu Börsenkorrekturen führt, die negative Vermögenseffekte auf den Verbrauch und die Investitionsausgaben haben. Auch das Unternehmens- und Verbrauchervertrauen wird wahrscheinlich einen Schlag hinnehmen müssen, was die Nachfrage weiter untergräbt.

Wenn die Ölpreise noch wesentlich höher steigen – auf die Spitzenwerte von 2008 – wird sich das Wachstum in den Industrienationen stark verlangsamen; viele könnten sogar zurück in die Rezession abgleiten. Und selbst wenn die Preise den größten Teil des Jahres auf dem aktuellen Niveau bleiben, wird sich das Wachstum verlangsamen und die Inflation zunehmen.

* Politisches Gegensteuern

Welche politischen Gegenmaßnahmen gibt es, um das Risiko der Stagflation einzudämmen? Kurzfristig gibt es nur sehr wenige: Saudi-Arabien – der einzige OPEC-Produzent mit Überschusskapazität – könnte seine Förderleistung erhöhen, und die USA könnten ihre strategische Ölreserve dazu nutzen, die Öllieferungen zu steigern.

Im Laufe der Zeit – dies könnte jedoch einige Jahre dauern – könnten die Verbraucher in alternative Energiequellen investieren und die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen über CO2-Steuern und neue Technologien senken. Da es sich bei der Energie- und Lebensmittelsicherheit um Fragen handelt, die für die wirtschaftliche sowie für die soziale und politische Stabilität von Bedeutung sind, sollte den Produzenten und Verbrauchern an politischen Maßnahmen gelegen sein, die die Volatilität der Rohstoffpreise verringern.

Doch muss sofort gehandelt werden. Der Übergang von der Autokratie zur Demokratie im Nahen Osten wird wahrscheinlich holprig und instabil verlaufen – bestenfalls. In Ländern, in denen im Hinblick auf höhere Einkommen und Sozialleistungen Nachholbedarf besteht, könnte die demokratische Leidenschaft zu hohen Haushaltsdefiziten, übertriebenen Lohnforderungen und höherer Inflation führen, was letztendlich schwere Wirtschaftskrisen zur Folge hätte.

Deshalb sollte ein mutiges neues Hilfsprogramm für die Region aufgelegt werden; als Vorbild könnte entweder der Marshallplan in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg dienen oder die Unterstützung, die Osteuropa nach dem Fall der Berliner Mauer bekam. Die Finanzierung sollte vom Internationalen Währungsfonds, von der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung kommen sowie aus den bilateralen Hilfsleistungen der USA, der Europäischen Union, Chinas und der Golfstaaten. Das Ziel sollte sein, die Wirtschaft dieser Länder zu stabilisieren, während sie ihren schwierigen politischen Wandel vorantreiben.

Es steht viel auf dem Spiel. Ein instabiler politischer Wandel könnte zu großer sozialer Unruhe, organisierten Gewalttaten und/oder Bürgerkrieg führen, was weitere wirtschaftliche wie politische Turbulenzen schüren könnte. Angesichts der aktuellen Risikosensitivität der Ölpreise hätte nicht nur der Nahe Osten darunter zu leiden.

© Project Syndicate

Nouriel Roubini ist Vorsitzender von Roubini Global Economics (www.roubini.com), Professor an der Stern School of Business der New York University und Koautor des Buches Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft.

Veröffentlicht: 18.3.2011

Empfohlene Zitierweise: Nouriel Roubini, Ökonomische Konsequenzen der arabischen Revolte, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 18.3.2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).