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Mit Bio gegen Welthunger

Artikel-Nr.: DE20110316-Art.15-2011

Mit Bio gegen Welthunger

UN-Report entkräftet gängige Vorurteile

Biolandwirtschaft sei wirtschaftlich nicht tragfähig, ein Luxuszweig der Nahrungsmittelindustrie, nur durch Subventionierungen finanziell lohnenswert und erst recht nicht dazu geeignet, Menschen in globalem Ausmaß zu ernähren – so die gängigen Urteile. Das Gegenteil stellt nun ein neuer Report von Olivier De Schutter, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, fest: Ökologische Landwirtschaft kann die Lebensmittelproduktion – gerade in Entwicklungsländern – in fünf bis zehn Jahren verdoppeln und so einen bemerkenswerten Beitrag zur Lösung des Hungerproblems leisten. Von Sarah Hellmerichs.

Die Anzahl der unter chronischem Hunger leidenden Menschen wird Ende des Jahres die tragische Rekordmarke von einer Milliarde erreichen, hat soeben Weltbankpräsident Zoellick festgestellt. Ursächlich dafür sind ständig weiter steigende Nahrungsmittelpreise, die u.a. durch Spekulation, schlechte Ernten, Exportbegrenzungen, extrem niedrige Vorratsmengen sowie eine rapide zunehmende Nachfrage für die Herstellung von Agrosprit verursacht werden.

Der am 8. März vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vorgestellte Bericht „Agroecology and the Right to Food“ (s. Hinweis) bietet zwar keine Patentlösungen, die all diese Probleme aus der Welt schaffen, aber er verdeutlicht eindringlich, dass ein Wandel hin zu ökologischer Landwirtschaft den Teufelskreis aus Hunger und Armut unterbrechen und außerdem die fatale Abhängigkeit der Ärmsten vom Nahrungsmittel-Weltmarkt verringern kann.

* Win-win-Situation für Mensch, Umwelt und Klima

Konventionelle Landwirtschaft ist mit teuren Investitionen in Maschinen, Saatgut und Dünger verbunden, sie treibt den Klimawandel an und zudem sind die Ernten anfällig gegenüber Klimaschocks, so der Bericht. Es ist „erforderlich in einer Welt limitierter Ressourcen“ auf einen möglichst naturgetreuen Anbau zu setzen, bei dem chemische Mittel durch Nützlinge der Tier- und Pflanzenwelt ersetzt und die Bodenproduktivität durch schonende Feldbestellung gewährleistet wird bzw. sogar ansteigt. Auch Hightech-Saatgut wird dadurch überflüssig, und eine Diversifizierung der angebauten Pflanzen schützt vor wetter- und schädlingsbedingten Ernteausfällen.

Dies gilt besonders in Regionen mit ungünstigen Umweltbedingungen, also in den Gebieten, wo weltweit die meisten Hungernden leben. Projekte in bislang 57 Entwicklungsländern haben einen Ernteanstieg von 80% ergeben, im afrikanischen Raum betrug er sogar 116%, argumentiert De Schutter. In Malawi stieg die Maisernte nach Einführung der ökologischen Landwirtschaft um das zwei- bis dreifache. Eine verbesserte Bodenbelüftung durch schonende Bepflanzung hat hier außerdem Ernteausfälle nach Dürren verhindert.

Interessant ist dies besonders vor dem Hintergrund, dass das Land immer noch als Paradebeispiel der u.a. durch die Gates- und Rockefeller-Stiftungen finanzierte 400 Millionen Dollar schwere Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) gilt. Die dabei praktizierte massive Subventionierung von Düngern und Hybridsaaten produziert allerdings nur kurzfristige Ernteanstiege, langfristig sind sie nicht nachhaltig, betont der Berichterstatter. Auch in Äthiopien und Indien zeigten Pflanzen nach Umstellung auf Biolandwirtschaft eine verbesserte Dürreresistenz. In Indonesien, Bangladesh und Vietnam konnten bei Reisanbau-Projekten der Einsatz von Insektiziden um 92% gesenkt werden, was mit erheblichen Einsparungen für arme Bauern einherging und sie so wettbewerbsfähig machte.

Das sind Erfolgsgeschichten, die Auswege aus dem Paradoxon aufzeigen, dass die meisten Hungernden im ländlichen Raum leben. Meist für den Export bestimmte landwirtschaftliche Großprojekte konnten diese Menschen nicht aus ihrer Not befreien; dass der Trickle-down-Effekt nicht funktioniert, hat sich bereits vor Jahrzehnten herausgestellt. Die ökologische Landwirtschaft könnte hingegen als starker Motor für die ländliche Entwicklung dienen. Indem sie Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz in Einklang bringt, ist sie darüber hinaus auch ein wirkungsvolles Instrument einer wirklich „Grünen Ökonomie“ (s. auf unserer Website: Grüne Ökonomie – Topthema 20 Jahre nach Rio). Und eine Entkoppelung der Landwirtschaft von fossilen Energieträgern fördert Ressourcenschutz und eine Umsetzung des Rechts auf Nahrung zugleich.

* Wissen ersetzt Chemiekeulen

Diese Maßnahmen sind wegen ihrer geringen Einstiegskosten geradezu prädestiniert für die ärmsten Regionen der Welt. Trotzdem sind sie nicht kostenlos, und die Mobilisierung von Kapital gestaltet sich durchaus schwerer als die eigentlich kostenintensiveren Investitionen der konventionellen Landwirtschaft oder von Programmen wie der AGRA. Agroökologie ist eine wissensbasierte Landwirtschaft. Und „private Firmen werden ihr Geld und ihre Zeit nicht in Methoden investieren, die weder mit Patenten belohnt werden noch Märkte für aufgebessertes Saatgut öffnen“, so der Berichterstatter. Deshalb sind Regierungen, öffentliche Einrichtungen und Geber gefragt, den Ausbau von Projekten zu fördern. Zum Beispiel müssen Kleinbauernorganisationen unterstützt werden, um den Wissenstransfer zwischen den Landwirten zu gewährleisten. Kooperationen zwischen Wissenschaftlern und Bauern können außerdem eine Brücke zwischen Theorie und Praxis schlagen und erst damit das volle Innovationspotenzial ausschöpfen.

* Alles nur ein alter Hut?

Prinzipiell unterscheiden sich die Erkenntnisse des Reports nicht großartig von Entwicklungskonzepten der 80er Jahre, die öko-soziale Prinzipien wie Agroforesting und die Existenzsicherung von Kleinbauern ins öffentliche Blickfeld rückten. Allerdings ist es heute möglich, den Erfolg dieser Maßnahmen zu beweisen und – wie im Bericht durch den Verweis auf zahlreiche Studien geschehen – wissenschaftlich zu untermauern. Zusätzlich lässt das neuerliche gesellschaftliche Interesse an Ernährung hoffen, dass die Forderungen nach globaler Biolandwirtschaft auf offenere Ohren stoßen als damals. Denn, so De Schutter, „wir müssen uns beeilen, wenn wir wiederholte Nahrungsmittel- und Klimadesaster im 21. Jahrhundert vermeiden wollen.“ Weitere drei Jahrzehnte bleiben uns sicher nicht.

Hinweis:
* Olivier De Schutter, Agroecolgy and the Right to Food, 21 pp, United Nations: Geneva, 8 March 2011. Bezug: über www.srfood.org
Veröffentlicht: 16.3.2011

Empfohlene Zitierweise: Barbara Unmüßig, Globale Umweltgovernance und Rio+20: Groß denken und klein beigeben?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 03-04/2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).